Quantcast
Channel: Überleben im II. Weltkrieg » Militär
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Militärischer Widerstand und Kreisauer Kreis

$
0
0

Das Militär spielte während der NS-Zeit eine höchst vielschichtige Rolle. Einerseits hatte die Wehrmachtsführung den Zweiten Weltkrieg und die in diesem Krieg begangenen Grausamkeiten mit zu verantworten. Andererseits war die Wehrmacht nach der Gleichschaltung sowie der Zerschlagung aller demokratischen Strukturen die einzige Institution, die vom NS-Regime noch soweit unabhängig war, dass sie dieses ernsthaft gefährden konnte. Der sich seit 1943 anbahnende militärische Zusammenbruch ließ auch viele Offiziere an Hitler und der NS-Führung zweifeln. Dass mit dessen starrer Durchhaltestrategie wie in Stalingrad Tausende von Soldaten geopfert wurden, stieß bei ihnen auf Unmut. Aus Verantwortung gegenüber ihren Soldaten wollten sie diesem sinnlosen Treiben ein schnelles Ende setzen. Zudem stießen die insbesondere im Osten begangenen Massaker und Gewaltexzesse bei den konservativ eingestellten, in einem christlichen Wertesystem verankerten Angehörigen der Wehrmachtsführung auf immer stärkere Abscheu.

Einige Offiziere erkannten immer klarer, dass es nur einen einzigen Ausweg aus dem Desaster gab: Hitler schnellstmöglich zu beseitigen. Es kostete ein beachtliches Maß an Überwindung, mitten im Krieg das eigene Wertesystem über Bord zu werfen und ein tödliches Attentat auf den obersten Befehlshaber zu planen und durchzuführen, auf den man einst einen Eid geschworen hatte. Das Eingeständnis für die Mitverantwortung für diesen Krieg, der sich in eine so menschenverachtende Richtung entwickelt hatte, war für viele der letzte Anstoß, endlich zu handeln. Erklärtes Ziel der Verschwörer vom 20. Juli war es, dem NS-Regime ein Ende zu setzen und eine Veränderung der politischen Verhältnisse in Deutschland zu erzielen. Sie handelten in der Absicht, die Katastrophe des totalen militärischen Zusammenbruchs abzuwenden. Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Mitstreiter waren entschlossen, alles zu tun, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen und weiteres sinnloses menschliches Leid zu verhindern.

Der militärische Widerstand schaffte es, mit dem so genannten Kreisauer Kreis ein Netzwerk aus Regimegegnern unterschiedlicher Herkunft zusammen zu bringen, das sich mit der Nachkriegsordnung Deutschlands befasste. Benannt ist dieser Zirkel nach dem Gut Kreisau, wo sich die verschiedenen Akteure auf Initiative von Helmuth James Graf von Moltke sowie Peter Graf Yorck von Wartenburg trafen, ihre Ideen austauschten und sich gegenseitig neue Denkanstöße gaben. Allein schon dass ein Raum geschaffen wurde, wo freies Denken noch möglich war, ist ein Verdienst des Kreisauer Kreises, auch wenn dieser seine politischen Ziele nicht erreichen sollte. Das Aktionsprogramm der dritten Kreisauer Tagung vom Juni 1943 dokumentiert die ersten Grundlagen für einen politischen Neuanfang in Deutschland. Wichtigste Punkte waren dabei die Sicherstellung von Menschenwürde und Freiheit. Auch der Hamburger Sozialdemokrat Dr. Theodor Haubach beteiligte sich an diesem Netzwerk. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 bezahlten zahlreiche Mitglieder des Kreisauer Kreises ihren Einsatz für ein anderes, menschlicheres Deutschland mit dem Leben.

Von den direkt am militärischen Widerstand Beteiligten überlebte kaum jemand die beispiellose Terrorwelle, mit der das NS-Regime auf das gescheiterte Hitler-Attentat reagierte. Den Widerstandskämpfern war 1944 durchaus bewusst, dass sie ihr Leben riskierten. Stauffenberg und seine Mitstreiter, die direkt an der Planung und Durchführung des Attentats beteiligt waren, wurden sofort erschossen. Die Unterstützer aus dem weiteren Umfeld – unter anderem auch Initiatoren des Kreisauer Kreises wie Helmuth James Graf von Moltke wurden zum Tode verurteilt. Aus der Haft schrieben sie vor ihrer Hinrichtung noch bewegende Briefe an ihre Angehörigen, in denen sie diese dazu ermutigen, weiterzuleben trotz allem an das Leben und die Menschen zu glauben.

Zweifellos sind die Widerstandskämpfer mit ihren zeitgenössischen politischen Zielsetzungen, Deutschland aus eigener Kraft vom Nationalsozialismus zu befreien und die deutsche Souveränität zu bewahren, gescheitert. Doch ihr moralisches Ziel haben sie trotz allem erreicht. Sie wollten zeigen, dass es das „andere Deutschland“ gab – ein Deutschland, in ein Menschenleben etwas wert ist und in dem Recht und Gerechtigkeit einen festen Platz haben. Dass es Menschen gab, die den Mut hatten, auch unter größtmöglicher Lebensgefahr für ihre Werte einzustehen, ist angesichts der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ein ermutigendes Vermächtnis.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images





Latest Images